Hallo,
auch von mir vielen Dank für diesen Thread. Er illustriert sehr gut, dass schwer wiegende Verletzungen auch aus vermeintlich banalen Situationen heraus entstehen können. Dass man sich beim Springen mit dem Kite die Visage vom Acker neu herrichten lassen kann ist für die Meisten sicherlich noch sehr gut vorstellbar...
Drei Erlebnisse mit meinen Drachen möchte ich hier schildern. An und für sich sind das alles Anfängerfehler. Mir geht es aber vor Allem darum darzustellen, dass Nachdenken keinen Ersatz für mangelnde Erfahrung darstellt. Und selbst wenn etwas 23 Mal gut geht, kann es beim 24sten Mal trotzdem in die Hose gehen...
- Flexifoil Sting 3.3 (kaum Lift, zieht aber ganz gut) bei strammen 4 bft + Böen -
Ich hatte bereits vier oder fünf Monate Flugerfahrung mit der Sting und wusste, dass ich an diesem Tag im Grenzbereich meiner Fähigkeiten fliegen würde. Ich durfte die Matte nicht einen Augenblick aus den Augen zu lassen.
Auf ging's zur Wiese, und nach dem Einfliegen fing ich an, die Anfangssequenz für einen Pendelsprung durchzufliegen. Ich wusste bereits, dass Matten kleiner als 5 qm + starker Wind meist sehr undankbare Sprunggehilfen sind, daher hatte ich es nicht auf wirkliche Sprünge angelegt. Mir ging es lediglich um das Positionieren des Kites am Himmel und das Gefühl, wann welche Kräfte in welcher Richtung zu wirken beginnen.
Ich bin etwa eine Dreiviertelstunde ohne Probleme geflogen. Dann ist mir der Drachen bei einem Überflug der Powerzone leicht (!) abgesackt (nachlassende Konzentration?). Ab da ging es ziemlich schnell: Der Drachen zog an, und ich bin in feinster Supermann-Manier vier bis fünf Meter weit geflogen. Bei der Landung hatte ich mich glücklicherweise instinktiv seitlich abrollen können. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn ich mit dem Gesicht voran aufgeschlagen wäre...
Abgesehen vom Schrecken ist nichts passiert, die Brille saß nur ein wenig schief. Ich hatte sogar noch die Handles in der Hand, was ich erst ein paar Sekunden nach der Landung (meiner Landung!) merkte. "Bloß wech damit", dachte ich. Schließlich war der Drachen ja noch in der Luft, und von Kontrolle konnte keine Rede mehr sein. Also weggeworfen, und den Rest haben die Kitekiller erledigt.
Lektionen: Wenn solche Aktionen geplant sind, dann...
- Auch mal Pausen einplanen, und zwar nicht erst, wenn man die Handles vor Schmerzen nicht mehr halten kann. Ohne Konzentration geht's nämlich auch nicht!
- Der Grenzbereich ist bei starkem Wind sehr schmal (eigentlich sinnlos, das zu schreiben; das muss man selbst erleben).
- Nur an Orten ohne Menschen in der Nähe fliegen. Wenn der Drachen einen unkontrolliert mitzieht, kann man erstaunlich schnell weitere Distanzen zurücklegen.
- Nur an Orten mit Menschen in der Nähe fliegen. Wenn so eine Aktion schlimmer ausgeht, sollte jemand in der Nähe sein, der sich um einen kümmern kann.
- Das Benutzen von Kitekillern gezielt üben: Den Festhaltereflex abtrainieren.
Ich denke, dass es nicht falsch war, bei starkem Wind mit einer solchen Matte seine Grenzen weit jenseits des Komfortbereichs auszuloten. Später begegnet man Problemsituationen umsogelassener.
Vor Allem hilfreich, wenn man sich danach eine Twister II 5.6 zulegt...
- Peter Lynn Twister II 5.6 (Aus dem Stand guter Zug auch bei wenig Wind, viel Lift!) bei jenseits 3 bft -
Gleiches Vorgehen wie beim Sting: Einfliegen über ein bis zwei Monate (nun aber bereits mit Helm und Protektoren), angefangen bei 1 bis 2 bft, dann bei 2 bis 3 bft kleine Sprünge aus dem Stand und die Pendelsprungsequenz durchgelaufen mit ersten kleinen Sprüngen.
Dann kam ein traumhaft schöner "Spätsommer und fast 4bft!"-Tag, und ich wusste, dass damit nicht nur mein derzeitiges Twister-Erfahrunglimit sondern auch das Limit erreicht war, bei dem eine große Twister überhaupt noch aus dem Stand geflogen werden kann. Es ging also nicht mehr um Sprünge, sondern um Konzentration, sauberes Fliegen und Kontrolle am Limit. Und wenn der Drachen in die Powerzone soll, dann nur mit dem Hintern auf dem Boden. Dann sollte eigentlich nichts Gravierendes passieren.
Der Park bot nahezu Idealbedingungen: Ein sehr ebener, gepflegter und weitläufiger Rasen, generell kaum Leute da außer ein paar anderen Powerkite-Fliegern. Und zugegebenermaßen war ich durch die anderen Kiter (auch mit größeren Kalibern unterwegs) recht optimistisch, dass ich nichts völlig Wahnsinniges vorhatte.
Und ab ging es. Eigentlich bin ich kaum zum Stehen gekommen, da die Twister selbst am Windfensterrand recht viel Zug entwickelte. Im Zenit konnte sie mich am Boden sitzend leicht liften. Daher konzentrierte ich mich schließlich auf den Kite als Transportmittel und ließ mich auf meinem Allerwertesten zügig dahinbefördern.
Ich dachte schon, ich hätte es geschnackelt. Was sollte auch schlimmes passieren? Am Boden war ich ja bereits...
Das kann passieren: Der Wind dreht ein wenig, sodass ich bei einer Rutschpartie nicht mehr nur in der Powerzone Schub geradeaus bekam, sondern auch noch in Richtung des ehemaligem Windfensterrands. Ich rutschte also unerwartet heftig seitlich weg, der Kite drehte mich blitzschnell auf dem Hintern herum (eine Sache von vielleicht 1 Sekunde).
Plötzlich durfte ich also einen 5,6 qm-Powerkite kopfüber fliegen. Das Doofe daran: Ich hatte so etwas noch nie gemacht. Ab hier ging die Aktion dann komplett schief. Unten war oben, aber noch schlimmer war, dass oben auch unten war. Anstatt also der Powerzone nach oben auszuweichen steuerte ich den Drachen mitten hinein.
Das Ganze ist eine Sache von nicht mal 2 Sekunden: Du denkst, du kannst den Drachen noch halten und dich wieder in Position bringen, realisierst aber gar nicht, dass deine Zeit längst abgelaufen ist und du bereits zum Passagier erklärt wurdest.
Und so war's: Ich wurde, nur mit T-Shirt bekleidet, auf dem Rücken liegend und mit dem Kopf voran, beschleunigt und mehrere Meter mitgeschleift. Da wurde aus dem ebenen Rasen schlagartig eine Buckelpiste! Mit dem Hinterkopf schlug ich einmal kräftig auf dem ausgetrockneten Boden auf (an dieser Stelle herzlichen Dank an meinen Helm, der Schlimmeres verhinderte).
"Loslassen, du Idiot!", dachte ich nur noch und ließ dann auch, sodass die Kitekiller der Twister den Wind aus den Segeln nehmen konnten.
Lektionen:
- Rutschen auf dem Hintern will auch gelernt sein
- Der Drachen interessiert sich nicht, was Du gerade am Boden machst. Ob du nun läufst, stehst, sitzt oder liegst: Jede Körperhaltung oder -lage kann bei ausreichend Kitepower blitzartig außer Kontrolle geraten.
- Nicht nur an Helm und Protektoren denken, sondern auch an den Rest der Bekleidung: Festes Schuhwerk, Oberbekleidung aus strapazierfähigem Gewebe, möglichst verrutschfest getragen (Gürtel)
- Und wieder: Handles loslassen einprogrammieren!
Das folgende Erlebnis ist mir ehrlich gesagt das Unangenehmste, da es für andere Personen böse hätte ausgehen können. Ich hätte es besser wissen müssen, aber vielleicht lag es an meiner mangelnden Erfahrung mit Drachen, die Starthilfe benötigen.
- Spiderkite Leon (klassischer Diamant-Zweileiner, sehr gutmütig, aber schwer alleine zu starten) bei viel Wind -
Der Tag war recht windig und böig. Ich hatte keine Lust auf Power und habe mir den Leon und einen extralangen Schweif geschnappt, um ein wenig strapazenfreien Spaß zu haben. Auf der Wiese angekommen hatte ich dann Probleme, den Drachen alleine zu starten. Eine Spaziergängerin hatte Mitleid und bot mir ihre Hilfe an. Sie stellte sich recht unbeholfen an (kein Vorwurf!), und der starke Wind machte es nicht einfacher. Der Drachen schlug in ihrer Hand unkontrolliert nach links oder rechts. Hier hätte ich bereits abbrechen müssen...
Schließlich erhob sich der Drachen dennoch in die Lüfte. Nicht bedacht hatte ich den 15 Meter langen Schweif, der dann einem kleinen Kind, das etwas abseits hinter der Frau stand (also eigentlich außerhalb der Leinenreichweite) über das Gesicht streifte! Gott sei Dank hatte der kleine Mann nur einen sehr großen Schrecken bekommen. Nicht auszudenken, wenn der Schweif geschnitten hätte! Mir ist die Sache sehr an die Nieren gegangen.
Die Notlandung war übrigens auch nicht ohne. Der Windfensterrand war durch Böen für die Landung schwer abzuschätzen. Und dann musste ich auch noch sicherstellen, dass mir der Drachen nicht wieder abhebt (Bodenanker sind ja bei Ein- und Zweileinern kontraproduktiv).
Lektionen:
- Sorgfältig abwägen, von wem man sich beim Start (oder generell beim Drachenfliegen) helfen lässt; Laien müssen klare Anweisungen erhalten, was zu tun ist. Ansonsten lieber verzichten!
- Oder direkt zu zweit losziehen, wenn Starthilfe nötig ist.
- Drachenschweife haben ein Eigenleben, das mitbedacht werden will. Gerade in Kombination mit Kindern.
Gruß
Christian